Aus der fhocus: Von der App auf Rezept und digitalen Kompetenzen

Prof. Dr. Sven Kernebeck von unserem Fachbereich Gesundheit brennt für Digitalisierung, insbesondere im Gesundheitssystem. Was ihn daran fasziniert, ist vor allem die Vielfalt und immense Tragweite. Welchen Einfluss sie auf die Arbeitswelt der Gesundheitsberufe hat, erklärt Kernebeck im Interview.

Herr Prof. Dr. Kernebeck, wo finden wir Digitalisierung im Gesundheitswesen?

Die Bandbreite ist extrem groß. In vielen Prozessschritten der Behandlung und der Sektoren gibt es Elemente der Digitalisierung, sei es bei der Prävention, Früherkennung und Therapie. Mittlerweile haben wir die sogenannten digitalen Gesundheitsanwendungen, die von Hausärzt*innen und Psychotherapeut*innen verschrieben werden können. In Zukunft können auch in der ambulanten Pflege digitale Pflegeanwendungen beantragt werden. Man merkt, dass sich durch die Digitalisierungsstrategie von Gesundheitsminister Lauterbach positive Entwicklungen abzeichnen – wie beispielsweise diese.

Was ist eine digitale Gesundheitsanwendung?

Darunter fallen Apps im Bereich Gesundheit, die in bestimmten Risikoklassen als Medizinprodukt klassifiziert sind. Sie werden begleitend in der Therapie und zum Selbstmanagement der Patient*innen eingesetzt – beispielsweise bei psychischen Erkrankungen wie Angststörungen und Depressionen oder in der Nachsorge bei Brustkrebspatientinnen. Die Akzeptanz dafür steigt bei den Hausärzt*innen, vor allem in den Städten.

Wie weit ist Deutschland in Sachen Digitalisierung im Gesundheitswesen? 

Grundsätzlich steht Deutschland in allen Benchmarking- Studien höchstens im Mittelfeld, eher auf den unteren Plätzen. Grob gesprochen hängen wir rund zehn Jahre hinterher. Der Digitalisierungsgrad ist zwischen den verschiedenen Settings und Institutionen aber sehr unterschiedlich. Wir haben kleine Pflegeeinrichtungen, die den Großteil noch auf Papier machen. Das Fax ist in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung noch das Hauptkommunikationsmittel. Und dann gibt es Unikliniken, die schon fast durchdigitalisiert sind. Deutschland ist aber insofern internationaler Vorreiter, als dass es als erstes Land weltweit die Apps auf Rezept verordnet.  Inwiefern verändert Digitalisierung die Gesundheitsberufe? Im besten Fall werden dem Fachpersonal die Dokumentation, Routinetätigkeiten und sich wiederholende Aufgaben abgenommen und automatisiert. Digitalisierung verändert das Gesundheitswesen vor allem dahingehend, dass digitale Kompetenzen für Hochschulen und Ausbildungsstätten an sehr hoher Stelle stehen müssen. 

Was sind digitale Kompetenzen? 

Sie reichen vom Wissen über die Anwendung der digitalen Interventionen über insbesondere ethische Reflexionsfähigkeit bis zu Aspekten des Datenschutzes und der Datensicherheit. Wir finden im Internet eine Fülle an Gesundheitsinformationen, das hat natürlich zu einer Liberalisierung und zu einer Verbreitung von Wissen in der Gesellschaft geführt – viele Bürger*innen googeln vor dem Besuch in der Praxis. Diese Informationen kritisch zu bewerten, ist aber für einen Großteil der Bevölkerung sehr schwierig.

Wie bringen Sie Digitalisierung in die Lehre ein?

Man kann digitale Kompetenzen nicht nur aus dem Lehrbuch entwickeln. Hier am Fachbereich bietet unser Skills Lab die Möglichkeit, Situationen der Gesundheitsberufe zu simulieren und so Anwendungen zu trainieren – zum Beispiel Telemedizin wie eine Untersuchung und Kommunikation per Teletherapie. Außerdem ist ChatGPT ein Tool, das ich in jeder Lehrveranstaltung adressiere. Es gehört zu den Durchbruchsinnovationen, die es erfordern, sich relativ schnell neue Kompetenzen anzueignen und diese Notwendigkeit auch zu erkennen. Künstliche Intelligenz, insbesondere generative KI, wird in elektronischen Patient* innenakten in fünf bis zehn Jahren Standard sein, zum Beispiel, um gezielt Daten daraus abzufragen.  

Wie sehr kann Digitalisierung im Hinblick auf den Fachkräftemangel und überlastete Pflegekräfte helfen?

Sie ist eine flankierende Maßnahme, aber nicht das alleinige Mittel, um diese Themen nachhaltig anzugehen. Es geht nicht nur darum, Dinge zu digitalisieren. In diesem Zusammenhang sollten wir Tätigkeiten und Prozesse hinterfragen und optimieren. Digitalisierung an sich macht ja auch nicht gesund und ist per se auch nicht gut. Dafür brauchen wir Fachkräfte, die hohe digitale Kompetenzen haben und zudem digitale Anwendungen, die gut an das Setting angepasst sind, in denen sie genutzt werden. Es ist sehr wichtig, dass wir die Attraktivität der Gesundheitsberufe steigern, die Arbeitsbedingungen verbessern und auch an die Generation Z anpassen müssen, die nun ins Arbeitsleben geht.

 

Dieses Interview ist ausgekoppelt aus der aktuellen Sommersemester-Ausgabe unseres Hochschulmagazins fhocus zum Thema „Arbeitswelt im Wandel“. Mehr zum Thema New Work, KI im Recruiting, Fachkräftemangel und Co. lesen Sie im E-Paper.

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