Lehrprojekt am Fachbereich Gesundheit stellt Frage nach visueller Nähe und Distanz in Versorgungssituationen

Den Blickwinkel aus Patient*innensicht kennenlernen: Im Lehrprojekt „Ich sehe was, was Du nicht siehst“ stellt ein Team vom Fachbereich Gesundheit die Frage nach visueller Nähe und Distanz in Versorgungssituationen.

In der Pflege, Logopädie, Physio- oder Ergotherapie ist Körpernähe in vielen Situationen unerlässlich. Menschen, die in Gesundheitsberufen arbeiten, sind Fachleute, die sich daran gewöhnt haben – doch wie nehmen Patient*innen diese zwangsläufige Nähe zu ihrem Gegenüber wahr? Diese Frage hat sich Prof. Dr. Anke Menzel-Begemann gestellt, als sie selbst bei einer Massage war: „Ist den Behandelnden eigentlich bewusst, was man von ihnen während der Behandlung sieht? Und ist das auch für Patientinnen und Patienten in Ordnung?“ Menzel-Begemann ist Professorin für Rehabilitationswissenschaften am Fachbereich Gesundheit unserer Hochschule. Um dieser Frage gemeinsam mit ihren Studierenden nachzugehen, hat sie das Lehrprojekt „Ich sehe was, was Du nicht siehst – ungewohnte Perspektiven in der Gesundheitsversorgung“ ins Leben gerufen. Die Idee: Den Gesundheitsprofessionen von morgen die Patient*innen-Sicht auf die Versorgungssituation zu zeigen.

Zusammen mit der Fotografin Ingrid Hagenhenrich und der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Susanne Adolphs lässt Menzel-Begemann die Studierenden typische Versorgungssituation nachstellen: Sie helfen den Patient*innen zum Beispiel dabei, sich anzuziehen, umzusetzen oder führen mit ihnen therapeutische Übungen durch. Hagenhenrich fotografiert die Studierenden dann aus beiden Blickrichtungen. Während Gesundheitsprofessionen aus ihrer Perspektive wahrnehmen, wie sie zum Beispiel die Beine der Patient*innen anheben, sieht dies aus Sicht der Patient*innen gleich ganz anders aus. „Man kommt den Menschen bei der Behandlung sehr nah. Von außen wirkt es womöglich hilfreich und mitfühlend. Aus der Ich-Perspektive kann man solche Behandlungen aber auch als übergriffig empfinden“, so Menzel-Begemann. „Es geht bei dem Projekt natürlich nicht darum, eine Behandlungsmethode abzuschaffen, sondern sie einfach einmal zu reflektieren, sich in sein Gegenüber hineinzuversetzen und dann zu überlegen, ob ich mich den Patient*innen eventuell anders nähern kann oder ob es hilft, das Versorgungshandeln den Patient*innen vorher zu erläutern.“

In den vergangenen Semestern hat das Team aufgrund der Kontaktbeschränkungen während der Corona-Pandemie das Seminar digital durchführen müssen. Menzel-Begemann, Hagenhenrich und Adolphs haben dazu für die Studierenden Fotos erstellt und diese bewerten lassen. Nun, wo Präsenzunterricht wieder möglich ist, stellen die Studierenden die Situationen selbst nach. „In einem Fragebogen beschreiben die Studierenden anschließend, wie sie das jeweilige Bild empfinden. Die Reaktionen darauf waren bisher unterschiedlich: Manche waren erstaunt, andere eher defensiv, weil sie die Behandlung so durchgeführt haben, wie sie sie gelernt haben: ,Das ist halt so!‘ Doch am Ende war stets der Eindruck, dass sich die Auseinandersetzung mit dem Thema lohnt“, resümiert Adolphs.

In sogenannten Moodboards bereiten die Studierenden abschließend ihre Erfahrungen und Eindrücke aus dem Seminar auf – etwa als Kurzfilm oder als Bildcollage. „Die Kommunikation mit den Patientinnen und Patienten ist ein wichtiges Mittel, um die womöglich unangenehme Situation zu entschärfen. Man kann erklären, warum man etwas tut“, lautet ein Fazit einer Studentin. Und eine andere Teilnehmerin meldete im Nachgang zurück, dass sie viele Aspekte aus dem Lehrprojekt in ihrem Alltag begleiten. „Und dieser Transfer ist das Wichtigste, das wir erreichen können“, so Menzel-Begemann. Dabei helfen auch die Bilder Hagenhenrichs: In ihren fotografischen Arbeiten über Menschen, die an Demenz erkrankt sind oder an einer Fetalen Alkoholspektrum-Störung (FASD) leiden, beschäftigt sie sich häufiger mit Themen aus dem Gesundheitssektor. „Ich schaue ganz genau hin – aufrichtig, interessiert und wertfrei“, so die Fotografin. Über eine öffentliche Ausstellung der Ergebnisse aus „Ich sehe was, was Du nicht siehst“ denkt das Projektteam derzeit nach.

Zum Thema: In unserem aktuellen Hochschulentwicklungsplan haben wir das Thema Gesundheit für weitere fünf Jahre als eine von sechs gesellschaftlichen Herausforderungen definiert, die unsere Hochschule bei ihrer Weiterentwicklung in besonderer Weise berücksichtigen wird. Ziel ist es, Gesundheit als deutlichen Schwerpunkt in den Strategieperspektiven Bildung und Forschung weiter zu stärken und die interdisziplinäre Zusammenarbeit zu fördern. Vom 9. bis 20. Januar stellen wir vielfältige Aktivitäten und Projekte in diesem Themenfeld vor.

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